Vorbemerkung:
Hatschepsut (Maatkare
- Hatschepsut), Tochter
des dritten Pharao der 18. Dynastie, Thutmosis I. (reg. 1506 - 1494 v.u.Z.),
von seiner Hauptfrau Ahmose, wurde dessen Nachfolger, ihrem Halbbruder
Thutmosis II. (reg. 1494-1490 v.u.Z.), als "Große Gemahlin"' beigegeben.
Als Thutmosis II. 1490 starb, folgtem ihm seine Kinder - ein Sohn (von
der Nebenfrau Isis) und eine Tochter Nofrure (von Hatschepsut) als dessen
"Große Gemahlin" - auf den Thron. Da aber Thutmosis III. bei Regierungsantritt
noch unmündig war, übernahm seine Stiefmutter Hatschepsut die
Regentschaft, erklärte sich jedoch nach zwei Jahren zur Alleinherrscherin
(Staatsstreich 1488) und billigte Thutmosis III. nur noch formelle Mitregentschaft
an ihrer Seite zu; ihre Tochter Nofrure starb noch zu ihren Lebzeiten.
Hatschepsut regierte 21 Jahre und 9 Monate. Die imperialistische Politik ihres Vaters, der den ägyptischen Machtbereich vom 4. Nilkatarakt bis an den oberen Euphrat ausgedehnt hatte, setzte sie nicht fort; ihr einziger Feldzug führte zur Sicherung der Südgrenzen nach Nubien. Um so mehr fallen ihre großen handelspolitischen Expeditionen auf, die sie zum Sinai, nach Assuan und in das sägenumwoben "Weihrauchland" Punt (wahrscheinlich die Somali-Küste oder der Jemen) unternahm. Im 19. Jahr führte sie eine große Säuberung und Reorganisation der Verwaltung durch, im 18. ließ sie den Reichstempel von Karnak vergrößern und die beiden 30 Meter hohen Obelisken aufstellen. Die Bauzeit ihres großen, reich ausgestatteten Totentempels in Deir el-Bahari ist nicht genau bestimmbar; er ist eines der bedeutendsten Werke der ägyptischen Monumentalkunst des Neuen Reiches. Im Winter 1469/68 ist sie gestorben. Obwohl ihr Stiefsohn, Mitregent und Nachfolger als Alleinherrscher, Thutmosis III., ihren Namen aus der Königsliste und vielen Inschriften tilgen, ja sogar ihre Statuen und Obelisken stürzen ließ - eine "Säuberung", |
|
Die Legende
Amun, der oberste Gott, spricht
zu Thot, seinem Boten: "Ich habe liebgewonnen ..."
Mit diesen Worten beginnt ein langer
Fries von Bild- und Schrift-Reliefs, auf denen Hatschepsut in Deir el-Bahari
die Geschichte ihrer göttlichen Abkunft erzählen ließ.
Sie folgte damit der alten ägyptischen Staatsfiktion, die wahrscheinlich
schon aus der Zeit des Alten Reichs datiert und den jeweiligen Herrscher
als leibliches Kind des Sonnengottes ausgab. Wann der Mythos zum ersten
Mal bildlich und wortwörtlich fixiert wurde, steht nicht fest; Hatschepsuts
Erzählung in der "Geburtshalle" ihres Totentempels ist jedenfalls
die älteste der nachweisbaren Darstellungen, zugleich die besterhaltene,
und sie ist schöner und poetischer als alle späteren, etwa in
den Tempeln von Karnak und Luxor. Stationen und Verlauf der "Königsnovelle"
sind in der literarischen Tradition streng festgelegt und beginnen mit
einem "Prolog im Himmel":
1. Szene: Amun hält Rat mit der Neunheit der Götter. Diese Ratsversammlung entspricht dem Königsrat, den Pharao zu halten pflegt: ein Akt der Verwaltung irdischer Macht wird in den Himmel projiziert. Die Tagesordnung: Amun sucht nach um Zustimmung der Götter zu seinen noch vagen Plänen. Ihre zu erwartende Frucht nimmt jedoch bereits teil an der Zusammenkunft: der neue König tritt auf, ein Projekt noch, trotzdem verspricht er der himmlischen Gesellschaft eine reiche Ausstattung mit Tempeln und Opfern, falls er verwirklicht werde.
2. Szene: Amun schickt seinen
Gehilfen Thot aus, den Namen des Wesens, das er liebgewonnen hat, zu ergründen.
Die Chronologie ist nicht strikt. Nach seiner Erkundungsfahrt berichtet
Thot jedenfalls: "Es ist Ahmose, die Gattin des Herrschers", das heißt:
sie ist standesgemäß für ein göttliches Beilager,
"Seine Majestät ist aber noch ein Kind." Thutmosis I. hat die Ehe
mit Ahmose noch nicht vollzogen. Amuns alleinige Vaterschaft wird also
nicht angefochten werden können.
Das jus primae noctis, praktiziert
durch einen Gott, die mythische Idee göttlicher Zeugung, ist alt.
Das zu erwartende Königskind ist nur Glied einer langen Kette himmlisch
gezeugter. Die mystische Idee der Gotteskindschaft wird sich dereinst in
äußerster und folgenreichster Formulierung in der unbefleckten
Empfängnis Christi wiederholen.
3. Szene: Amuns Gang zur Geliebten. Thot geleitet ihn bis zum Tor des Palastes, dann bleibt er zurück, was den Eintritt des Gottes zum Auftritt macht.
4. Szene: Der Gott in den
Gemächern der Königin. Der Text erzählt, daß er die
Gestalt des noch nicht mannbaren Königs angenommen habe. Die Wachen
haben ihn also guten Gewissens passieren lassen können.
Der Gott findet Ahmose schlafend.
Sie sind in einem allerheiligsten Raum - gemeint ist vermutlich im Tempel
von Karnak - allein. Ahmose erwacht. Ihr vermeintlicher Gemahl gibt sich
zu erkennen - eine gottesgemäße Geste, auf die der hinterlistig
erpichte Zeus im Gewand Amphytrions nicht verfallen ist. Und die Inschriften
kommentieren den Bericht der Bilder:
"Sie erwachte wegen des Gottesdufts,
sie lachte seiner Majestät entgegen. Er ging sogleich zu ihr, er entbrannte
in Liebe zu ihr; er gab sein Herz zu ihr hin, er ließ sich sehen
in seiner Gottesgestalt, nachdem er vor sie gekommen war, so daß
sie jubelte beim Anblick seiner Vollkommenheit; seine Liebe, sie ging ein
in ihren Leib. Der Palast war überflutet mit Gottesduft, und alle
seine Wohlgerüche waren solche aus Punt.
Und Amun, der Herr von Karnak,
kündigt der Geliebten an:
"Hatschepsut, die den Gott Amun
umfängt", oder "die der Gott Amun umfängt", "ist also der Name
dieses deines Sohnes, den ich in deinen Leib gelegt habe..." Daß
auf "Hatschepsut, die" wenige Worte später "...deines Sohnes" folgt,
ist weder ein Übersetzungsfehler noch ein Versehen des Steinmetzen,
sondern geht auf göttlichen Willen zurück - das Zitat ist wörtlich
- und stellt ein staatsrechtliches Faktum dar, dessen Konsequenzen schwer
wiegen werden. Vorerst folgen die üblichen Segenssprüche aus
Amuns Mund: "Ich habe für sie die beiden Länder (Ober- und Unterägypten)
vereinigt in all ihren Namen auf dem Horusthron der Lebenden. Ich werde
meinen Schutz um sie knüpfen täglich zusammen mit dem Gott des
jeweiligen Tages."
Wer kann, so muß man fragen,
bei all der Liebe, bei all dem Jubel gegen die Thronfolge Hatschepsuts
noch etwas auf dem Herzen haben? Sie wird erwartet. Sie kommt.
5. Szene: Dargestellt ist ein Bett, von zwei löwenköpfigen Schutzgöttinen der Liebe getragen. Amun und Ahmose sitzen darauf beieinander. Die Liebesgöttinnen halten ein Brett bereit für ihre Füße, und Amun reicht der Königin zwei Lebenszeichen. Diese Szene bildet, zusammen mit der Geburtsszene, die dramatische und die politisehe Mitte des ganzen Zyklus. Sie bezeichnen die göttliche Herkunft des Königs, des "Sohnes" Hatschepsut.
6. Szene: Amun weist den widderköpfigen Töpfergott Chnum an, einen Leib für das Kind zu schaffen, göttlich wie der des Vaters, vollkommener als der früherer Könige.
7. Szene: Chnum sitzt vor einem Töpfertischchen und formt zwei Kinder - ein Bild der Erscheinung und eines des Schutzgeistes Hatschepsuts. Eine froschköpfige Gehilfin kniet zu seinen Füßen und reicht das Lebenszeichen herauf. "Ich töpfere dich hiermit eines Zeichens mit Amun", sagt Chnum: Die beiden Kinder sind als Knaben abgebildet, während der Text überall in femininen Formen von einem Mädchen spricht. Thutmosis III. hat Hatschepsuts Figuren übrigens nach ihrem Tode ausmeißeln lassen. In der Zeit Echnatons, dem Monotheisten unter den Pharaonen, wurde der Kult des Amun verfolgt und sein Name in allen erreichbaren Reliefs zerstört. Erst zur Zeit der 19. Dynastie konnte sich Amun rehabilitieren, doch sind dann fälschlicherweise für Hatschepsuts Figuren überall Knaben eingesetzt worden.
8. Szene: Thot verkündet als Götterbote der Ahmose Amuns Zufriedenheit, und in.der
9. Szene wird die ,junge Königin von den Töpfergottheiten zur Entbindung geleitet. Ihre Schwangerschaft ist im Bilde leicht angedeutet. In der
10. Szene vollzieht sich die Geburt in Anwesenheit vieler Götter. Genien sind da, die Hatschepsut Leben und Dauer verheißen, ferner eine göttliche Hebamme. Die Mutter sitzt auf einem Bett, den neugeborenen Thronfolger im Arm.
11./12. Szene: Die kuhköpfige Hathor, eine Totengottheit, fungiert als Kindswärterin; sie reicht Amun das Kind dar, und er erkennt es als das seine an, als künftigen König, und verheißt ihm "Millionenjahre". "Er hat es liebgewonnen", umarmt es, ein Kuß, der die Legitimität Hatschepsuts als Thron£olger besiegelt.
13. Szene: Das Kind wird gestillt mit der Milch göttlicher Wesen und in der
14. Szene vor das Götterkollegium getragen, womit erklärt ist, daß Amun seine Verkündigung aus dem "Prolog im Himmel" wahrgemacht hat: Der Abschluß der Theogamie bildet die Darstellung der Beschneidungsszene. Das Neugeborene, leiblich als Masculinum zu verstehen, grammatikalisch jedoch stets als Femininum behandelt, verschwindet während der infolgedessen diffizilen Szene zwischen knienden Frauen und Männern des Hofstaats.
(Quelle: Elisabeth Plessen aus "Die Großen",
Kindler Verlag, Band I/1; S.122-135)