Herzrhythmusstörungen

Ursachen:

- idiopathisch
- KHK, Herzinfarkt, Myokarditis, Kardiomyopathien
- akute/chronische Volumen-/Druckbelastung (art. Hypertonus, Vitien, Shunts, Lungenembolie)
- Elektrolytstörungen, Hyperthyreose, Hypoxie, Medikamente etc.
- vegetativ


Automatiezentren:

Sinusknoten 60-80/min
AV-Knoten 40-60/min
Kammermyokard 20-40/min

1. Supraventrikuläre Herzrhythmusstörungen

1.1. Nomotope (=orthotope) Reizbildungsstörungen

Þ Erregungsursprung im Sinusknoten
Þ im allgemeinen normale Form aller EKG-Abschnitte

a) Sinustachykardie:

Ursache:
- psychovegetativ, Fieber, Intoxikationen, Hyperthyreose, Anämie, Hypoxie, Schock, Herzinsuffizienz, Lungenembolie, Medikamente etc.

Befund:
- Erhöhung der Herzfrequenz (>100/min, meist <180/min)
- allmählicher Frequenzanstieg
- P-Wellen häufig höher und steiler konfiguriert


b) Sinusbradykardie:

Ursache: vegetativ, intrakranieller Druck Ý, Infektionen, Hypothyreose, Hypothermie, hyperreaktiver Karotissinus, Medikamente etc.
Befund: - Erniedrigung der Herzfrequenz (<60/min)


c) Sinusarrhythmie:

Ursache: - meist respiratorisch Þ inspiratorisch HF Ý , exspiratorisch HF ß (bes. bei jüngeren, "vegetativen" Personen)
Befund: - Änderung des PP-Intervalls bei konstanter PQ-Zeit


d) Sick-Sinus-Syndrom (Bradykardie-Tachykardie-Syndrom)
 

Befund: - mangelnde Frequenzzunahme bei Belastung (max. 80-90/min)
- schwere Sinusbradykardie, evtl. Sinuspausen/-stillstand
- wechselnde tachykarde und bradykarde Vorhofersatzrhythmen
- SA-/AV-Überleitungsstörungen
- evtl. intermittierendes oder chronisches Vorhofflimmern (meist Endstadium)

e) Sinusextrasystolen

siehe "Übersicht über die supraventrikulären Extrasystolen (SVES)"


 
 

1.2. Heterotope (= ektope) Reizbildungsstörungen
 

Þ vorzeitige Reizbildung außerhalb des Sinusknotens  (primäre/aktive Rhythmusstörung)
Þ Ersatzreizbildung bei Unterdrückung / Ausbleiben / fehlende Überleitung des Sinusreizes (sekundäre/passive Rhythmusstörung)
Ursachen: Vagus-Einfluß, SA-Block II°/III°, Sinusarrest/-stillstand, Elektrolytstörungen, Medikamente, Hyperthyreose etc.
 
 
 

1.2.1. Atriale Arrhythmien

a) Vorhofextrasystolen

siehe "Übersicht über die supraventrikulären Extrasystolen (SVES)"
b) wandernder Schrittmacher
- unterschiedlich geformte P-Wellen, unterschiedliche PQ-Zeiten
- je weiter vom Sinusknoten entfernt, desto kürzer PQ und desto negativer P (besonders in Ableitung II, III, aVF)

c) Vorhoftachykardie
- regelmäßige Vorhofaktion (hoher o. tiefer Ursprung)
- PP-Abstand konstant
- Frequenz typischerweise 160-220/min
- bei 1:1-Überleitung schwer von Sinustachykardie zu unterscheiden
- bei 2:1-Überleitung "Maskierung" möglich (jede zweite P-Welle in QRS-Komplex oder T-Welle versteckt)
- bei zusätzlichem Vorliegen eines AV-Blocks Þ V.a. Digitalisintoxikation!


Vorhoftachykardie mit 2:1-Überleitung

d) Vorhofflattern
- regelmäßige P-Wellen ("Sägezahnmuster", steiler Anstieg, flacher Abfall) Þ II, III,V1, aVF
- Frequenz 260-320/min
- meist konstantes Überleitungsverhältnis (2:1, 3:1 oder 4:1)
- häufig Übergang ins Vorhofflimmern

e) Vorhofflimmern
- keine regelmäßige Vorhofaktionen (sog. "unruhige Nullinie")
- wechselnde RR-Intervalle durch unregelmäßige Überleitung
Þ Tachyarrhythmia absoluta ("irregularly irregular")




 

1.2.2. Atrioventrikuläre (AV-)Arrhythmien

a) AV-Rhythmus

- verformte P-Wellen in Abhängigkeit vom Ursprung, QRS-Komplexe normal
Þ oberer AV-Rhythmus: P neg., vor dem QRS-Komplex




Þ mittlerer AV-Rhythmus: P im oder direkt nach dem QRS-Komplex

 

Þ unterer AV-Rhythmus: P pos./biphasisch, nach dem QRS-Komplex

 
b) AV-Extrasystole
- P-Welle abhängig vom Ursprung (s. Abb.)
- siehe auch  "Übersicht über die supraventrikulären Extrasystolen (SVES)"
 
 
obere AV-Extrasystole
mittlere AV-Extrasystole
untere AV-Extrasystole
c) AV-Tachykardie
- Frequenz typischerweise bei 180/min (120 und 250/min)
- QRS-Konfiguration entsprechend dem Ursprung
d) His-Bündel-Rhythmus/-Extrasystole
- normal geformte QRS-Komplexe
- keine Beziehung zum Vorhof-EKG

 
 
Übersicht über die supraventrikulären Extrasystolen (SVES)

Vorbemerkungen und Nomenklatur

1. PP-Intervall (kurz: PP) Þ Zeitintervall zwischen dem Beginn der P-Wellen zweier aufeinanderfolgender Normalschläge (PN1Þ PN2)

2. doppeltes PP-Intervall (kurz: 2PP) Þ doppeltes Zeitintervall zwischen dem Beginn der P-Wellen zweier aufeinanderfolgender Normalschläge (2x PN1 Þ PN2) bzw. Zeitintervall zwischen dem Beginn der P-Welle eines Normalschlages und dem Beginn der P-Welle des übernächsten Normalschlages (PN1Þ PN3)

3. Kopplungsintervall Þ Zeitintervall zwischen dem Beginn der P-Wellen der supraventrikulären Extrasystole und dem vorausgegangenen Normalschlag (PN Þ PES)

4. postextrasystolische Pause (fälschlich auch als "kompensatorische Pause" bezeichnet) Þ Zeitintervall zwischen dem Beginn der P-Wellen der supraventriuklären Extrasystole und dem nachfolgenden Normalschlag (PES Þ PN)

5. Vorzeitigkeitsindex (VZI) = Quotient aus Kopplungsintervall und PP-Intervall 

(PN Þ PES) / PP
VZI = 1 Þ regelmäßige Schlagfolge
VZI < 1 Þ vorzeitiger Schlag
VZI > 1 Þ verspäteter Schlag
VZI wechselnd Þ Arrhythmie
6. Die gestrichelte Linie in der Abbildung entspricht dem Ende des doppelten PP-Normalintervalls, gemessen vom Beginn der P-Welle des präextrasystolischen Normalschlags.
1. Sinusknoten-Extrasystolen bzw. SVES aus dem sinusknotennahen Vorhofmyokard
- vorzeitiger Einfall
- positive P-Wellen
- normale PQ-Zeit  (evtl. verlängert durch mangelhafte Erholung des Überleitungsbündels)
- postextrasystolische Pause ...
a) nicht kompensierend (Summe aus Kopplungsintervall und postextrasystolischer Pause kleiner als der doppelte PP-Normalabstand): Þ Ursache: SVES auf Sinusknoten zurückgeleitet, Störung der Reizbildung im Sinusknoten ("Sinusknoten-Countdown" wird neu gestartet)
b) kompensierend  (Summe aus Kopplungsintervall und postextrasystolischer Pause gleich dem doppelten PP-Normalabstand)Þ Ursache: SVES nicht auf den Sinusknoten zurückgeleitet (Sinusknoteneintrittsblock, SKEB), Reizbildung somit unbeeinflußt
c) "überkompensierend" (Summe aus Kopplungsintervall und postextrasystolischer Pause größer als der doppelte PP-Normalabstand): Þ Ursache: SVES fällt nur kurz vor dem nächsten fälligen Normalschlag ein  (Vorzeitigkeitsindex >0,9)
- QRS-Konfiguration ...
a) unverändert im Vergleich zur Normalaktion
b) geringe Änderung der Konfiguration, jedoch ohne Verbreiterung Þ Ursache: noch nicht vollständig vom letzten Normalschlag erholtes Kammermyokard (bei sehr frühzeitigem Einfall der SVES)
c) schenkelblockartige Deformierung des QRS-Komplexes Þ Ursache: aberrante Leitung, d.h. rechter oder linker Tawara-Schenkel noch refraktär vom letzten Normalschlag  (DD: Fusions-/Kombinationssystole bei Koinzidenz von normal übergeleiteter Sinusaktion und ventrikulärer Extrasystole Þ keine Vorzeitigkeit!)

- Sonderform: blockierte Extrasystole Þ vorzeitige P-Welle (meist auf die T-Welle projiziert) ohne Überleitung auf die Kammer (=Refraktärzeit)


blockierte obere Vorhofextrasystolen (Pfeil 1+2) und eine sehr frühzeitige obere Vorhofextrasystole mit teilweiser aberranter Leitung
2. SVES aus mittleren Vorhof-Abschnitten
- vorzeitiger Einfall
- i.allg. biphasische P-Wellen mit geringer negativer Komponente
- geringe verkürzte* bis normale PQ-Zeit (evtl. verlängert durch mangelhafte Erholung des Überleitungsbündels)                                                                  * im Vergleich zum Normalschlag
- postextrasystolische Pause ...
siehe 1.
- QRS-Konfiguration ...
siehe 1.

mittlere Vorhofextrasystole mit nicht kompensierender Pause (PQN = 0,20s, PQES = 0,18s)
3. SVES aus unteren Vorhof-Abschnitten
- vorzeitiger Einfall
- negative P-Wellen biphasische P-Wellen mit ausgeprägter negativer Komponente
- i.allg. verkürzte* PQ-Zeit (evtl. verlängert durch mangelhafte Erholung des Überleitungsbündels)
                                                                                                          * im Vergleich zum Normalschlag
- postextrasystolische Pause ...
siehe 1.
- QRS-Konfiguration ...
siehe 1.

untere Vorhofextrasystole mit nicht kompensierender, postextrasystolischer Pause (PQN = 0,17s, PQES = 0,13s)
4. Atrioventrikuläre Extrasystolen aus oberen Knotenabschnitten
- vorzeitiger Einfall
- dem QRS-Komplex vorangehende, aber dich herangerückte P-Welle
- meist deformierte oder negative P-Welle
- absolut verkürzte PQ-Zeit
- postextrasystolische Pause ...
siehe 1.
- QRS-Konfiguration ...
siehe 1.
5. Atrioventrikuläre Extrasystolen aus mittleren Knotenabschnitten
- vorzeitiger Einfall
- P-Welle im QRS-Komplex gelegen (gleiche Überleitungszeit in Richtung Vorhof und Kammer)
- PQ-Zeit nicht bestimmbar
- postextrasystolische Pause ...
siehe 1.
- QRS-Konfiguration ...
siehe 1.
6. Atrioventrikuläre Extrasystolen aus unteren Knotenabschnitten
- vorzeitiger Einfall
- P-Welle in der Kammernachschwankung (ST-T) gelegen  (längere Überleitungszeit zum Vorhof als zur Kammer)
- PQ-Zeit nicht bestimmbar
- postextrasystolische Pause ...
siehe 1.
- QRS-Konfiguration ...
siehe 1.

untere AV-Knoten-Extrasystole mit retrograder Vorhoferregung, geringer Aberranz und nicht kompensierender, postextrasystolischer  Pause

 
 
 





 
 

2. Ventrikuläre Herzrhythmusstörungen

2.1. Ventrikuläre Extrasystolen (VES)

- blockartige Deformierung des Kammerkomplexes (RSB, LSB)
- sekundäre ST-T-Veränderungen (im Anschluß an die Erregungsausbreitungsstörung)
- meist konstante zeitliche Kopplung an vorhergehende Normalaktion
- fehlende Beziehung zum Vorhof-EKG Þ keine Störung des Sinusrhythmus
- kompensatorische Pausen (Ausnahme: interponierte VES bei Sinusbradykardie)
 

Formen von Extrasystolen:
- "unifokal/monomorph/monotop": alle VES haben die gleiche Konfiguration (und den gleichen Ursprung)

Þ Rechtsschenkelblockbild = Ursprung linke Kammer
Þ Linksschenkelblockbild = Ursprung rechte Kammer
- "multifokal/polymorph/polytop": VES haben unterschiedliche Form und unterschiedliche Vektoren (Ausschlagsrichtungen)





Einteilung nach LOWN (24h-EKG)Þ CAVE: nur für KHK anwendbar!
 
 
Grad 0 keine VES
Grad 1 < 30 VES/h
Grad 2 > 30 VES/h
Grad 3a polytope (multiforme) VES

 
Grad 3b Bigeminie (eine VES nach jeder Normalaktion)

 
Grad 4a Couplets (VES-Paare)

 
Grad 4b Triplets (3 VES infolge)

Salven (4-7 VES in Folge)
 
 

NSVT - "non sustained ventricular tachycardia" (8 oder mehr Aktionen)

 
Grad 5 R-auf-T-Phänomen (früh einfallende VES)


R-auf-T-Phänomen


R-auf-T-Phänomen mit Auslösung von Kammerflimmern


Vorzeitigkeits-Index (Quotient aus Kopplungsintervall NormalschlagÞExtrasystole und QT-Zeit des Normalschlages) kleiner als 1

VZI = (RNÞRES)/QTN


 
 



 

2.2. Idioventrikulärer Rhythmus

Ursache:
- Sinusimpuls erreicht nicht die Kammern (Sinusstillstand/-arrest, SA-/AV-Block III°)
- aktive Rhythmusstörung (evtl. als Pararrhythmie/Parasystolie)
 

a) Kammerrhythmus

- meist Ersatzrhythmus (z.B. bei Sinuspausen, totalem AV-Block)
- typische Frequenz 20-40/min
- Blockbilder (monomorph oder polymorph)
- keine Relation zum Vorhof-EKG
b) Ventrikuläre Tachykardie (VT)
- Herzfrequenz: ca. 100-200/min
- gleichmäßige QRS-Form (Schenkelblock-Bild)
- keine P-QRS-Beziehung (häufig sog. "escape beats" als Beweis der AV-Dissoziation)
- Josephson-Zeichen: Knotung/Kerbung am absteigenden Schenkel der S-Zacke
- Brugada-Zeichen: zeitlicher Abstand R-Gipfel bis S-Tal größer als 70 ms



- nichtanhaltende VT: 8 oder mehr aufeinanderfolgende VES (Dauer <30s), keine hämodynamische Beeinträchtigung, spontane Beendigung

- anhaltende VT: Dauer >30s, meist hämodynamische Beeinträchtigung (Synkopen, Morgagni-Adam-Stokes-Anfälle)

- atypische VT: Wechsel der Hauptausschlagrichtung um die Isoelektrische
Þ Torsade de pointes, Spitzenumkehr-Tachykardie (z.B. bei QT-Verlängerung, QTc >0.45s)


Torsade de pointes

c) Kammerflattern
- Kammerfrequenz 180-250/min
- gleichförmige (biphasische Undulationen), regelmäßige Kammerkomplexe ohne erkennbare Anfangs- und Nachschwankung



d) Kammerflimmern

- Flimmerfrequenz 250-400/min
- unregelmäßige Form und Amplitude, keine gerichtete Aktion möglich
- funktioneller Herzstillstand









3. Reizleitungsstörungen

3.1. Sinuatrialer Block (siehe dort)

3.2. Atrioventrikulärer Block (siehe dort)

3.3. Intraventrikulärer Block (siehe dort)
 

4. Präexzitationssyndrome

4.1. Wolff-Parkinson-White-Syndrom (siehe dort)

4.2. Lown-Ganong-Levine-Syndrom (siehe dort)
 

5. Paroxysmale Tachykardien

Þ plötzlich auftretend, meist selbstlimitierend

5.1. Vorhoftachykardie (siehe dort)

5.2. AV-Knoten-Reentry-Tachykardie
- zwei AV-Bündel unterschiedlicher Leitungsgeschwindigkeit und Refraktärzeit
- retrograde Vorhoferregung (P-Wellen meist im QRS-Komplex)

mögliche Reentry-Kreise:
a)  langsam-schnell-Typ:  Vorhof  Þ  langsame Fasern Þ  Ventrikel Þ  schnelle Fasern Þ  Vorhof
b)  schnell-langsam-Typ:  Vorhof  Þ  schnelle Fasern Þ  Ventrikel Þ  langsame Fasern Þ  Vorhof
- evtl. funktioneller Rechtsschenkelblock
- Frequenz 160-220/min
 

5.3. AV-junktionale Reentry-Tachykardie
- akzessorische Bündel können während ihrer Refraktärzeit retrograd leiten

mögliche Reentrykreise:
a)  orthodrom:  Vorhof  Þ  AV-Knoten  Þ  Ventrikel  Þ  akzessorisches Bündel  Þ  Vorhof
b)  antidrom:    Vorhof  Þ  akzessorisches Bündel Þ  Ventrikel  Þ  AV-Knoten Þ  Vorhof
- elektrischer Alternans i.R. einer supraventrikulären Tachykardie Þ V.a. akzessorische Bahn